Rezension
Die Suche nach dem goldenen Käfer in Neukaledonien. (DR)
Die alleinstehende Miss Margery Benson, mit sich und der Welt unzufrieden, übt lustlos ihren Beruf als Hauswirtschaftslehrerin aus. Mit zehn Jahren hat ihr Vater ihre Leidenschaft für Käfer, insbesondere für den goldenen Käfer von Neukaledonien, und den Traum, diesen zu finden, in ihr geweckt. Ihre Tristesse und die unbefriedigenden Lebensumstände führen dazu, dass diese Idee Margery immer mehr vereinnahmt und sie schließlich zur lang ersehnten Expedition aufbricht. Ihre Expeditionsleiterin, Miss Enid Pretty, scheint ungebildet und redet pausenlos. Während der fünfwöchigen Schiffsreise nach Australien und der schwierigen Weiterreise nach Neukaledonien nähern sich die beiden Frauen allmählich an. Trotz schier unüberwindbarer Hindernisse und Schwierigkeiten schaffen sie es bis zum Ziel. Doch in Neukaledonien beginnt erst das richtige Abenteuer.
Zwei Charaktere, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, werden durch eine eigenwillige Unternehmung zusammengeführt. Ein unterhaltsames Buch, das zum Schmunzeln und Staunen, aber auch zum Nachdenken anregt. Für alle Büchereien geeignet.
Kaltmachen leichtgemacht. (TD.D)
Mit "Achtsam morden" ist Karsten Dusse eine brillante Krimisatire auf die Lebensweise des modernen, städtischen Erfolgsmenschen gelungen. Björn, erfolgreicher Anwalt, sucht auf Drängen seiner frustrierten Frau einen Achtsamkeitscoach auf, um seine Work-Life-Balance wieder ins rechte Lot zu bringen. Nach zahlreichen Sitzungen erhält Björn den gedruckten Ratgeber "Achtsamkeit für Führungskräfte" mit auf den Weg nebst der Empfehlung, sich bisweilen auf eine "Zeitinsel" zurückzuziehen. Ein in diesem Sinn von Björn geplantes, arbeitsfreies Wochenende in einem Haus am See und nur in Begleitung seiner kleinen Tochter Emily droht jedoch zu scheitern. Björns wichtigster Mandant, der auf Nadelstreif getrimmte Mafiaboss Dragan, hat jemanden erschlagen und bittet seinen Rechtsbeistand nun um Fluchthilfe. Schließlich sei im Kofferraum des anwältlichen Dienstwagens ja genügend Platz, um unbemerkt die Stadt zu verlassen und der Polizei zu entkommen.
Damit beginnt der kriminelle Teil der Satire, in deren Verlauf Björn die Prinzipien des Achtsamkeitsratgebers nacheinander geschickt umdeutet, um sie als Rechtfertigung für allerlei Mord, Erpressung und Körperverletzung zu nutzen.
"Ohren auf!" lautet die Empfehlung angesichts der lustvoll-perfekten Darbietung des kriminellen Geschehens durch Matthias Matschke. Er überzeugt in allen Rollen, ob als Ich-Erzähler Björn, philosophisch angehauchter Achtsamkeits-Coach, als überheblicher Chef des Anwaltsbüros oder als Gangster. Matschke hält die Spannung sogar über die CDs 5 und 6, als die satirische Kraft des Autors bereits ein wenig nachlässt. Eine kriminelle Delikatesse!
Unterhaltsame Kombination aus Lebenstragik und Alltagssituation in einer optisch ansprechenden Ausgabe. (DR)
Ildikó von Kürthy, Journalistin und langjährige Kolumnistin, ist bereits seit Jahren ein Fixstern am Himmel der deutschsprachigen Unterhaltungsliteratur, wobei sie mit ihren Protagonistinnen und ihrem authentischen, humorvollen und durchaus realistischen Schreibstil eine stetig anwachsende, vor allem weibliche Leserschaft, anspricht.
Judith Rogge, die Hauptfigur des aktuellen Titels, ist eine Frau um die 50 Jahre, die in eine klassische Lebenskrise stürzt. Mit ihrem Mann lebt sie nach langer Ehe nun in einer Art Zweckgemeinschaft, ihre drei mittlerweile erwachsenen Kinder werden nach und nach flügge. Als dann überraschenderweise auch noch ihre Mutter stirbt, steht Judith plötzlich orientierungslos an einem Scheidepunkt in ihrem Leben. Um den Nachlass der Mutter zu regeln, muss sie in ihre alte Heimat fahren und sieht sich im Laufe dieses Unterfangens mit zahlreichen Erinnerungen ihrer lang verdrängten Vergangenheit konfrontiert. Sie trifft am Begräbnis ihre alte Freundin Anne, mit der sie lange keinen Kontakt mehr hatte, und erfährt, dass diese schwer und lebensbedrohlich erkrankt ist. Judith beginnt an der Sinnhaftigkeit ihres bisherigen Lebens zu zweifeln, stellt sich und ihrer Umwelt dringliche wie unangenehme Fragen und liebäugelt mit einem absoluten Neustart.
Unterhaltsam und augenzwinkernd erzählt Kürthy auf rund 370 Seiten vom Wechselbad der Gefühle einer "ganz normalen" Frau, die zwischen Resignation und Lust am Neubeginn schwankt. Die LeserInnen können sich sicherlich in vielen Situationen wiederfinden, die immerwährend gültigen und mitunter humorvoll erzählten Alltagssituationen sind in diesem Roman wirklich charmant verpackt.
Fazit: Nette und niveauvolle Unterhaltungsliteratur mit authentischen Figuren. Von Verlagsseite wird die dahinplätschernde Handlung in einer schön bunten, aber dezent wirkenden und haptisch ansprechenden Ausgabe zum Kauf angeboten.
"Die andere Frau" bietet einen authentischen, äußerst spannenden, berührenden und lesenswerten Einblick in das Leben des Psychologen Joe O'Loughlin, eine der treuesten Figuren aus der Feder von Michael Robotham. O'Loughlin wird von Robotham als sein am meisten liebgewonnener Charakter bezeichnet und erhält vom Autor in diesem Band den Status der Hauptfigur und nicht wie gewohnt, den des am Rande zu Rate gezogenen forensischen Psychologen.
Joe versucht nach dem überraschenden Tod seiner Frau Juliet ein neues Leben in London aufzubauen. Doch eines Morgens erreicht ihn ein erschreckender Anruf: Sein Vater liegt nach einem brutalen Überfall schwer verletzt im Krankenhaus. Als Joe dort ankommt, muss er feststellen, dass nicht seine Mutter am Krankenbett sitzt, sondern eine wildfremde Frau die sich allerdings als Ehefrau seines Vaters vorstellt.
Durch die schnörkellose Wortwahl von Robotham bewegt man sich direkt mitten im Geschehen. Die Ehrlichkeit im Ausdruck und die kurz gehaltenen Kapitel, schaffen eine gewaltige Spannung und man möchte immer schneller vorankommen, um endlich zu erfahren, wer den Vater von Joe überfallen hat und warum. Das Buch ist ein besonders authentischer Roman, der ohne zu psychologisieren oder moralisieren auskommt. Der empathische und logisch denkende Psychologe wird auch für den Leser zu einem liebgewonnenen Charakter, den man durch seine ganz eigene Geschichte begleitet. Angefangen bei seinen Eltern, über seine Schwestern, zu seinen eigenen Töchtern, bis hin zu den vielen Verhältnissen, die sein Vater im Laufe seines Lebens aufgebaut und wieder abgerissen hat. In "Die andere Frau" wird viel über Beziehungen, Geheimnisse und Verbindungen erzählt und deshalb gehört dieses Buch in große und kleine Bibliotheken und in so manches privates Bücherregal.
Weil wir viele Dinge nicht verstehen, heißt das nicht, dass es sie nicht gibt. (NK)
"Die Evolution steht vor einem Sprung, der alles verändern wird", zeigt sich Johannes Huber überzeugt, wenn er in vorliegendem Band darüber philosophiert, wie die Wissenschaft langsam das Unsichtbare entdeckt und womöglich in absehbarer Zeit Phänomene wie den Genius loci, die Übertragung von Gedanken oder den Glauben an Schutzengel erklären können wird. Ist der Gynäkologe Johannes Huber, der sich als "Hormon-Papst" international einen Namen gemacht hat, am Wiener AKH tätig ist und das silberne Verdienstkreuz der Stadt Wien trägt, plötzlich zum Esoteriker mutiert oder gar übergeschnappt, mag sich mancher seiner Kollegen fragen. Ganz im Gegenteil. Huber zeigt unter Zuhilfenahme aktueller Forschungsergebnisse auf, dass die Wissenschaft viele bislang "esoterische" Thesen bereits beweisen kann und somit Phänomene wie Schutzengel nicht mehr lange zu leugnen vermag. Denn warum sollten ruhemasselose und somit nur aus Energie bestehende Photonen nicht Engeln als reine Lichtgestalten gegenüberstehen? Nur weil man sagt, Photonen kämen "aus dem Hintergrund des Weltalls", während Engel "himmlischer Herkunft" seien?
Voraussetzung für ein Bekenntnis "Es exisitert" wäre allerdings, dass sich ein "neuer Mensch" mit erweitertem Bewusstsein durchsetzen kann, und mit fast mantraartiger Beschwörung des Buchtitels versucht Huber den Nachweis, dass solch ein "neuer Mensch" gerade entsteht. Aber, räumt Huber ein, auch jener "neue Mensch" könnte wieder zum Raubtier verkommen. Denn selbst im größten Gehirn wird auch in Zukunft nicht automatisch mehr Verstand zu finden sein! Geeignet für alle Bibliotheksbestände.
Medizinisches Sachbuch, welches die Bauweise des menschlichen Körpers auf anschauliche Weise erklärt. (NK)
Meistens beachten wir die Bauweise unseres Körpers erst dann wirklich, wenn er nicht mehr richtig funktioniert und die ersten Wehwehchen auftauchen.
Die Journalistin Andrea Freund und die Medizinerin Lucia Schmidt geben in ihrem Buch "Leber und Milz" Auskunft darüber, wo genau zum Beispiel die Milz liegt, welchen Zusammenhang es zwischen dem Blinddarm und dem Immunsystem gibt und welche Funktion das Steißbein hat. In humorvoller, verständlicher Weise vermitteln sie essentielle Informationen über das Wunderwerk Körper, gehen aber auch darauf ein, wodurch wir dieses gefährden können.
Partnerübungen, in denen die Autorinnen Tipps geben, was wir "aktiv für den Körper tun können", runden den Inhalt ab.
"Leber an Milz" ist kein Nachschlagewerk, kein Lehrbuch, sondern ein gut recherchiertes und geschriebenes Sachbuch, dem man die Freude seiner Autorinnen am Thema in jedem Kapitel aufs Neue anmerkt. Abschließend seien noch die Illustrationen von Isabel Klett erwähnt, die den Text zusätzlich auflockern.
Quelle: bn.bibliotheksnachrichten, Michael Wildauer
Ein Traumatisierter kämpft gegen einen Psychopathen. (DR)
Bernhard Aichner kennt man spätestens seit seinem Sonntagsfrühstück auf Ö3. Seine "Totenfrau"-Trilogie war ein riesiger Erfolg, Verfilmungen sind in Verhandlung. Da liegt die Latte für einen neuen Roman ganz schön hoch, doch Aichner hüpft darüber, als wäre es ein Kinderspiel. Sein neues Werk ist ein Psychothriller in Reinkultur: Hohes Tempo, eine abwechslungsreiche Handlung und Bilder, die einem im Gedächtnis bleiben.
Ben wird von seinem Vater mit dem Gürtel geschlagen, die Mutter findet das in Ordnung. Regelmäßig muss er in den ersten Stock des Hauses, ins "Bösland", um sich misshandeln zu lassen, da im Erdgeschoss ein Jesus von seinem Kreuz blickt. Der einzige Lichtblick in diesem tristen Alltag ist Felix Kux, Sohn des Dorfarztes, der sich gegen jede Wahrscheinlichkeit Ben als Freund auswählt. Und dann taucht noch ein Mädchen auf…
Egal ob Österreich oder Thailand, Ben (und der Leserschaft) bleibt wenig erspart. Über den (wie immer) abgehackten Sprachstil kann man geteilter Meinung sein, aber der Erfolg gibt Aichner recht, und mittlerweile muss man ihm zugestehen, dass er einen eigenen Stil entwickelt hat, der hohen Wiedererkennungswert besitzt. Bei der Handlung wird bestimmt niemandem langweilig und deshalb die klare Empfehlung: lesen!
Glavinic mal drei! - Erzählerische Volten schlagender Roman über drei Anti-Helden, die überall Gefahr statt Chance sehen und vielleicht doch nur ein- und derselbe sind? (DR)
"Wer wir sind, wissen wir nicht. Beim letzten Durchzählen kam ich auf mindestens drei Personen, die jeder von uns ist. Erstens die, die er ist, zweitens die, die er zu sein glaubt, und drittens die, für die ihn die anderen halten sollen." Mit diesem gedanklichen Rösselsprung beginnt der österreichische Erfolgsautor Thomas Glavinic sein wildes Spiel mit Genres und Motiven, Identitäten und Wirklichkeiten, Zeiten und Orten. Auf rund 748 Seiten entführt er die LeserInnen in seinen unverwechselbaren Erzählkosmos voll schwarzen Humors, skurriler Charaktere und Einfälle.
Motivtreue ist ein markantes Stilmittel des Autors, manche LeserInnen sind dem Liebespaar Jonas und Marie schon begegnet (zuletzt in "Das größere Wunder"). Doch handelt es sich kaum um die gleichen Leben, um die selben Charaktere vielleicht? Diesmal wollen sich die beiden auf eine Antarktisexpedition begeben, doch davor lässt sich Jonas an abenteuerlichen Orten in der Welt verstecken. Im zweiten Erzählstrang kämpft ein depressiver Wiener Schriftsteller, ein alptraumhaft verzerrtes Spiegelbild des eigenen Autoren-Ichs (wie schon in "Das bin doch ich"), mit seinen diversen Süchten und Ängsten und der Menschheit im Allgemeinen. Glavinic, ein Meister der Selbst-Inszenierung, schafft geschickt Parallelen zur eigenen Biografie, doch wo beginnt oder endet die Authentizität? Die dritte Handlungsebene beschreibt die schwere Kindheit eines hochintelligenten 13-Jährigen in den 1980er Jahren, wo allein Bücher und Schachspiel Zuflucht und Aussicht auf ein besseres Leben bieten. "Alles wird gut" (S. 744), hofft man am Ende mit diesem jugendlichen Protagonisten.
Nahtlos verwebt Glavinic Fiktion und Fakten in den dunklen und hellen Lebensmomenten seiner drei männlichen Protagonisten zu einem großen Ganzen. Aktuelle gesellschaftliche Prozesse, tiefe seelische Verletzungen und menschliche Abgründe haben darin genauso Platz wie Witz, Romantik und konkrete Poesie. Kluge Sätze und anregende Gedankenspielereien machen die Selbstverliebtheit des Autors und ein paar Banalitäten verzeihlich. Einsamkeit und Angst, Leben und Tod, aber vor allem der Mensch mit all seinen Stärken und Schwächen stehen im Mittelpunkt dieses polarisierenden Romans, der zum Lachen und Weinen bringt, schockiert und verunsichert, provoziert und tröstet. Ein zutiefst österreichischer, lesenswerter Roman, der nicht nur für Literaturkreise jede Menge Gesprächsstoff bietet.
Robert Langdon jagt wieder Symbole - diesmal quer durch Spanien. (DR)
"Woher kommen wir, wohin gehen wir?" - nichts weniger als die wissenschaftliche Antwort auf diese existenziellen Menschheitsfragen scheint der Milliardär, Futurologe und überzeugte Atheist Edmond Kirsch (eine charismatische Mischung aus Steve Jobs und Elon Musk) gefunden zu haben. In einer groß angelegten Präsentation will er im Guggenheim Museum in Bilbao an den Grundfesten religiöser Schöpfungsmythen rütteln. Doch da hat er wohl die Rechnung ohne radikale christliche Splittergruppen, fanatische Ex-Militärs und Verschwörungstheoretiker im virtuellen Netz gemacht.
Die wiederum haben wohl nicht mit Kirschs ehemaligem Lehrer gerechnet: Kunsthistoriker und Harvard-Professor Robert Langdon. Für die Enthüllung von Kirschs Offenbarung jagt der Spezialist für Codes und Symbole zusammen mit der hübschen Museumsdirektorin und Verlobten des (fiktiven) Thronfolgers quer durch Spanien. Museen, Gotteshäuser, Paläste von Bilbao, Madrid, Sevilla bis hin zur katalonischen Hauptstadt Barcelona sind Schauplatz von Dan Browns neuem Thriller.
Die flotten Szenenwechsel, der Spannungsaufbau mit typischen Cliffhangern schreien nach einer Verfilmung, die Klischees sind enorm und Superdenker Langdon hat wieder einmal alles im Griff (mit Ausnahme der modernen Kunst). Und doch: Der 670 Seiten starke Thriller liest sich kurzweilig und spannend, der Mix aus Fakten und Fiktion ist interessant, nebenbei wird man in das Luxusleben von Milliardären und Monarchen eingeweiht, staunt über neueste technische Entwicklungen und lernt einiges über Künstler wie Paul Gauguin, William Blake und Antonio Gaudí. Fazit: Ein Buch, bei dem viele Entlehnungen garantiert sind.
Wer geben wir vor zu sein und wer sind wir wirklich? Carl Mørck bekommt es mit verborgenen seelischen Abgründen, kaltblütigen Tätern und der selbstverliebten Selfie-Generation zu tun. (DR)
Zwei Jahre sind seit "Verheißung" und jenem Fall vergangen, der Rose vom Sonderdezernat Q an die Grenzen ihrer Belastbarkeit trieb. Nun drohen die Schatten ihrer familiären Vergangenheit sie endgültig zu verschlingen. Doch nicht nur der Ausfall seiner sonst toughen, arbeitswütigen Kollegin bringt Carl zum Granteln. Als ihre Aufklärungsquote von oberster Stelle angezweifelt wird, tun Carl, Assad und Gordon vom Sonderdezernat Q das, was sie am besten können: Sich mit bissigen Kommentaren, trockenem Humor und Spürsinn in die brisanten Fälle der Kollegen einmischen, abseits der Dienstwege einen Cold Case und so manch anderes Verbrechen aufdecken und nebenbei die Gespenster in Roses Leben dingfest machen.
Ja, die Ereignisse überschlagen sich und Jussi Adler-Olsen meint es (vielleicht zu) gut mit seinen LeserInnen. Ein weit verzweigter Plot mit großem Figurenpersonal zwingt zu aufmerksamer Lektüre, die erlebte Rede und Adler-Olsens versierte Erzählerstimme machen es einem aber leicht, in die verschiedenen Handlungsstränge einzutauchen. Ein rascher Wechsel zwischen den Figuren sorgt bis zum rasanten Showdown für hohes Tempo, hochkonzentriert hastet man durch die Seiten dieses gelungenen neuen Thrillers der beliebten Reihe.
Der dänische Bestsellerautor schürt im jüngsten Band nicht nur die Neugier, wie es mit seinem einzigartigen Ermittlerteam wohl privat weitergehen wird, sondern packt auch massive Gesellschaftskritik über die selbstverliebte Selfie-Generation, deren Hang zur Selbstdarstellung und zu unverhältnismäßigem Konsum, hinein: Junge Sozialhilfeempfängerinnen, die einzig aus ihrem Aussehen Kapital schlagen wollen, aber feststellen müssen, dass ihnen mit fortschreitendem Alter die Perspektiven davonschwimmen, bekommen in diesem Thriller einen ganz und gar nicht glanzvollen Auftritt und erkennen, dass der Schritt vom Sozialbetrug zu anderen kriminellen Machenschaften ein kleiner ist. Doch damit werden diese aufgebrezelten Tussen nicht davonkommen, da ist sich deren frustrierte Betreuerin sicher: Tödlich erkrankt und entfesselt von diesem berauschenden Gefühl, über Leben und Tod anderer zu entscheiden, beginnt sie einen Rachefeldzug… Diese spannende Fortsetzung ist allen Büchereien, die diese Serie im Bestand haben, sehr zu empfehlen.
Rezension
Blum - von der Rache nehmenden Witwe zur Auftragsmörderin? (DR)
Ein Neuanfang in Hamburg. Ein Haus in einem der schönsten Viertel, Arbeit für Blum, neue Pässe für sie und die Kinder. Blum weiß, dass die Idylle trügt. Dass sie die Morde, die sie begangen hat, nicht ungeschehen machen kann. Und Schiele irgendwann auf ihren Deal zurückkommen wird. Dass sie ihre Schuld begleichen und jemanden für ihn töten muss. Leichtsinnig und naiv hat sie ihr Schicksal in die Hände des unberechenbaren Hamburger Zuhälters gelegt, als da kein anderer Ausweg auf der Flucht mehr war.
Wozu die Bestatterin Blum fähig ist, hat Bernhard Aichner bereits in "Totenfrau" und "Totenhaus" gezeigt, als er den Rachefeldzug der liebevollen Mutter und trauernden jungen Witwe temporeich inszenierte. Grausig und brutal geht es in den Thrillern des Tirolers zu, wenn Blum - durch ihr "Handwerk" routiniert im Umgang mit Leichen - die von ihr Ermordeten entsorgt. Das Verstörendste ist aber wohl, dass man Sympathien für diese verletzte Frau hegt. Das gelingt Aichner mit einer emotional aufgeladenen Prosa, die einem nahe gehen, einem unter die Haut kriechen will. Denn Blum ist auch Opfer und bis zu einem bestimmten Grad kann man verstehen, wie all das einfach passiert. Wie die Grenzen verschwimmen, als Blum erfährt, dass ihr Mann einem bestialischen Verbrechen auf der Spur war und deshalb sterben musste. Wie Mord und Vergeltung zum Ventil für Blums Schmerz werden.
Es ist ein Leichtes, sich von den knappen Sätzen, die die Handlung rasant vorantreiben und gleichzeitig einen ganz eigenen Sound entwickeln, mitreißen zu lassen. Dieser stakkatoartige Stil, der hervorragend zu dem sich verselbständigenden Rachefeldzug der entfesselten Blum in "Totenfrau" passt, wirkt nun aufgesetzt. Und dass die toughe Blum in absolut jeder Situation die Männerwelt betört, wissen wir mittlerweile auch schon. Ob alles gut wird, wie sich Blum mantraartig vorsagt, sei hier selbstverständlich nicht verraten - nur so viel: Aichner hat viele überraschende Wendungen parat, die die Spannung aufrechterhalten und das Ende für mich weniger vorhersehbar machten als bei den Vorgängerromanen.
Insgesamt kommen die Fortsetzungen für mich nicht an "Totenfrau" heran - der Vollständigkeit halber sollte man Teil 2 und 3 aber ebenfalls in der Bibliothek einstellen. Nachgefragt werden die Bestseller mit Sicherheit und unterhaltsamer Lesestoff sind sie sowieso!
Rezension
Der tollpatschige Polizist und die resolute Kommissarin: Das ungleiche Duo klärt im Ausseer Land abartige Morde auf. (DR)
Erstmals ermittelt Franz Gasperlmaier im Umfeld seiner betagten Mutter. Als nach dem Begräbnis ihrer Schulfreundin mehrere Gleichaltrige mit entblößtem Unterleib zu Tode kommen, muss der liebenswert patscherte Polizist Nachforschungen darüber anstellen, was vor gut 50 Jahren zwischen diesen Menschen geschehen sein mag. Wie immer unterstützt ihn Dr. Renate Kohlross vom Bezirkskommando aus dem fernen Liezen als attraktiver und intellektueller Widerpart. Oder er sie - je nach Auffassung und Anlass. Sein übergewichtiger Vorgesetzter, der Kahlß Friedrich, ist bestenfalls am Wirtshaustisch hilfreich.
Die kluge Ehefrau Christine und die beiden meist abwesenden Teenager-Kinder Christoph und Katharina bilden Gasperlmaiers persönlichen Hintergrund. Sie geben dem Familienvater Anlass zu sorgenvollen Klagen über Lebens- und Liebeswelt der heutigen Jugend und moderner Frauen.
Herbert Dutzlers dritter Regionalkrimi aus dem Ausseer Land gefällt durch flotte Dialoge und groteske Begegnungen zwischen meist liebenswerten Menschen, durch überraschende Wendungen und nicht zuletzt durch das urige Lokalkolorit der kleinräumigen Alpenregion.
Rezension
Blum, zweifache Mutter und Bestatterin, wird nach dem Tod ihres Mannes zur gnadenlosen Rächerin. (DR)
Blum, Adoptivtochter eines Bestattungsunternehmerehepaares, durchlebt eine Kindheit ohne Liebe, Zuwendung oder Fürsorge. Stattdessen wird sie zur Mithilfe im elterlichen Unternehmen genötigt, keine Tätigkeit bleibt ihr erspart. Dies hinterlässt tiefe Spuren in der kindlichen Seele. Kaltblütig rächt sie sich für diese gestohlene Lebenszeit. Dass sie bei dieser Gelegenheit die Liebe ihres Lebens kennenlernt und mit ihm Jahre des Glücks durchlebt, scheint sie für die Entbehrungen zu entschädigen. Doch dann stirbt ihr Mann bei einem Verkehrsunfall mit Fahrerflucht. Durch Zufall stößt sie auf Tonbandaufzeichnungen einer jungen Frau, die ihrem Mann von einem unglaublichen Martyrium erzählte und ihn um Hilfe bat. Somit erscheint der Unfall in einem ganz neuen Licht...
Kurze Sätze und spärliche Dialoge prägen den Schreibstil von Bernhard Aichner. Die Geschichte hat mich persönlich nicht gefesselt, überraschende Wendungen, die Spannung aufbauen hätten können, fehlten - der Verlauf war leicht vorhersehbar. Die Schilderungen des Leidensweges der jungen Frau sind unnotwendig brutal, die Geschichte ist in ihrer Gesamtheit nicht glaubwürdig - für mich fehlt damit ein weiteres wichtiges Kriterium eines guten Thrillers.
Ungeachtet dessen werden viele LeserInnen interessiert sein, sich selbst ein Bild zu machen - gerade da dieses Buch des österreichischen Autors zur Zeit viel beworben und gelobt wird.
Rezension
Im zweiten Band rund um die Bestatterin Blum muss sich diese mit ihrer toten Zwillingsschwester und deren Adoptivfamilie auseinandersetzen. (DR)
Die als Kind von einem Bestatterehepaar adoptierte Brünhilde Blum, selbst als Bestatterin in Innsbruck tätig, ist nach dem Tod ihres über alles geliebten Mannes Mark alleinerziehende Mutter von zwei kleinen Mädchen. Während eines Urlaubs am Meer entdeckt sie in einer Zeitschrift das Foto einer toten Frau, die ihr bis aufs Haar gleicht. Entsetzt macht sie sich auf die Suche. Hatte sie etwa eine Zwillingsschwester, die damals von einer anderen Familie adoptiert wurde? Unterdessen werden auf einem Innsbrucker Friedhof zwei Leichen in einem Sarg gefunden, wo eigentlich nur ein Toter liegen sollte. Die Ermittler gehen von einem Gewaltverbrechen aus und der Verdacht fällt schnell auf die damalige Bestatterin Blum, die sofort zur Fahndung ausgeschrieben wird. Während die Polizei nach ihr sucht, kommt Blum der Geschichte ihrer toten Schwester immer näher. So beginnt ein Wettlauf mit der Zeit.
Wie im ersten Band ("Totenfrau") wird die lieblose Kindheit bei ihren Adoptiveltern kontinuierlich thematisiert und Blum verfällt bei diesen Gedanken in ein für die LeserInnen zusehends ermüdendes Lamento. So liest sich der Thriller aufgrund der oft sehr verkürzten Sätze an vielen Stellen wie ein innerer Monolog der Protagonistin. Auch die sehr knapp gehaltenen Dialoge tragen zu diesem Eindruck bei. Zwischen der eigentlichen Geschichte denkt die Protagonistin außerdem immer wieder mit viel Wehmut an ihren verstorbenen Mann.
Wer einen packenden Thriller mit spannenden Überraschungsmomenten erwartet, ist mit dieser Geschichte wohl falsch bedient. Der Autor versucht sich zwar an unerwarteten Wendungen, diese wollen ihm aber nicht so ganz gelingen und bleiben vorhersehbar. Einzig die ruhelose Atmosphäre des Buches, die durch die Flucht Blums vor der Polizei entsteht, garantiert ein atemloses Gefühl beim Lesen.
Österreichische Bibliotheken werden den Thriller mit Österreich-Bezug sicherlich anbieten wollen. Einmal lesen reicht und die LeserInnen können sich selbst ein Bild von dem von vielen hoch gelobten Autor machen, dessen Werk "Totenfrau" sogar ins Koreanische übersetzt wurde.
Quelle: bn.bibliotheksnachrichten, Jürgen von der Lippe
Der neue Jonasson ... ein Feuerwerk an schrägen Ideen!
Anders, ein Kleinkrimineller - seit seinen zahllosen Gefängnisaufenthalten nur noch "Mörder Anders" genannt -, ist frisch aus dem Knast entlassen und braucht einen neuen Job. Da kommt ihm die Begegnung mit der geschäftsfreudigen Pfarrerin Johanna, die wegen ihrer atheistischen Gesinnung arbeitslos geworden ist, gerade recht. Zusammen mit dem Hotelmitarbeiter Per gründen sie eine "Körperverletzungsagentur" mit Anders in der Rolle des Auftragsschlägers. Die Nachfrage läuft blendend - bis Anders nach dem höheren Sinn des Ganzen fragt. Ein Wunder geschieht: Jesus antwortet. Von diesem Augenblick an will Anders sein Leben in neue Bahnen lenken. Und so hat Johanna gleich die nächste geniale Business-Idee parat: Mit Anders' religiöser Leidenschaft lässt sich wunderbar Geld verdienen - indem man eine eigene Kirche, oder (noch viel besser!) gleich eine eigene Religion gründet ...
Augenzwinkernd, respektlos und mit rabenschwarzem Humor hält Jonas Jonasson in "Mörder Anders" der modernen Gesellschaft einen Spiegel vor. Mit einem Feuerwerk an Einfällen nimmt er die Gier nach immer neuen Geschäftsideen, die religiöse Heuchelei und die menschliche Dummheit aufs Korn und hat mit Anders einen unvergesslichen Anti-Helden erschaffen.
Rezension
Quelle: bn.bibliotheksnachrichten, Michael Wildauer
Familiensaga mit humaner Botschaft. (DR)
In der griechischen Sagenwelt geht es stets um Helden, die Prinzessinnen befreien, Nymphen erobern, Städte retten, Feinde niederringen, unlösbare Aufgaben bewältigen, über alle Weltmeere reisen, von den Göttern geliebt oder geprüft, vom Schicksal beschützt oder verflucht werden. Vea Kaiser hat in ihrem Roman zwei neue Figuren erschaffen, Eleni Stefanidis und ihren Cousin Lefti Zifkos, und die müssen nun durch neun "Gesänge" ganz im klassischen Stil ihre Heldentaten vollbringen. Dabei durchleben sie das Schicksal eines Durchschnittsgriechen: Das einfache Leben in karger Landschaft, das Auswandern nach Deutschland oder Amerika. (Nach Athen wohnen heute in Chicago die meisten Griechen in einer Stadt.) Und schließlich die Rückkehr in ein neues Griechenland, touristisch erschlossen und bankrott.
Kaiser wurde nach ihrem Erstlingsroman "Blasmusikpop" gefeiert, die Latte für das neue Buch lag sehr hoch. Doch nun war sie schon in Ö3 zum großen Interview geladen und ist Spiegel-Bestsellerin. Wie macht sie das? Vielleicht, weil sie sehr viel in ihre Romane packt: Lustiges, skurrile Charaktere, aber auch Tiefsinniges. Auf der Insel Makarionissi, die erst spät im Buch Ort des Geschehens wird (warum eigentlich dieser Titel?), versammeln sich einige wichtige Personen und bieten einen Überblick der Schicksale: Sehnsucht, Einsamkeit, Stolz, aber auch sehr viel familiärer Zusammenhalt und Liebe. Und was wirklich erstaunt: Die Österreicherin kann Griechen und Exilgriechen unglaublich authentisch beschreiben. Also, auch wenn es 460 Seiten sind, anfangen zu lesen!